EU-Führerschein-Richtlinie

Geplante Revision in der EU: L-drive Schweiz nimmt Stellung

Die Führerschein-Richtlinie, mit der die EU die Strassenverkehrssicherheit in Europa erhöhen will, soll angepasst werden. Die neuen Bestimmungen könnten auch Folgen für die Schweiz haben.

Autofahrer:innen und Fahrschüler:innen in der Europäischen Union müssen sich aller Voraussicht nach schon bald auf einige wichtige Änderungen einstellen. Der Grund: die 4. Führerschein-Richtlinie, mit der die EU die Strassenverkehrssicherheit in Europa erhöhen will. Einen ersten Gesetzentwurf präsentierte die EU-Kommission am 1. März 2023 in Brüssel.

Was hält L-drive Schweiz davon, dass in der EU vielleicht bald schon jeder ab dem 60. Altersjahr den Führerschein in regelmässigen Abständen erneuern muss?

Dass man den Führerausweis zeitlich befristet, ist mit Blick auf die Verkehrssicherheit keine falsche Idee – wenngleich natürlich nicht gerade populär. Immerhin gibt es ja bereits gewisse Bereiche wie bei den Berufs-Chauffeuren, wo dies mit dem Fähigkeitsausweis der Fall ist. Bei der Chauffeurzulassung, die übrigens auch auf eine EU-Richtlinie zurückgeht, ist dies an eine Weiterbildungspflicht gebunden. Dies würde sicher auch bei den Automobilist:innen Sinn machen – und zwar nicht erst ab 60 Jahren.

Leider steht die Schweiz diesen internationalen Bestrebungen in den letzten Jahren diametral entgegen: die Weiterbildungspflicht für Neulenkende ist von zwei auf einen Tag reduziert worden. Und die Altersgrenze für verkehrsmedizinische Kontrolluntersuchungen ist erhöht worden. Das wird sich irgendwann einmal negativ auf die Verkehrssicherheit auswirken.

Wie steht L-drive Schweiz zu einer möglichen Gewichtsabstufung der Kategorie B ab 1,8 Tonnen?

In erster Linie gilt: Bestehende oder neue Reglungen bringen nur etwas, wenn sie auch konsequent eingehalten werden. Und dies setzt wiederum voraus, dass sie entsprechend vermittelt werden. Das heisst: Eine professionelle Fahraus- und -weiterbildung bleibt prioritär für die Verkehrssicherheit.

Grundsätzlich gilt im Zusammenhang mit einer möglichen Gewichtsabstufung: Je schwerer ein Fahrzeug, desto grösser das Betriebsrisiko. Das heisst: Die Folgen eines Unfalls mit einem schwereren Fahrzeug sind höher. Dies sagt allerdings noch nichts über die Unfallhäufigkeit aus, die weitgehend vom Fahrverhalten und nicht primär vom Fahrzeug-Typ und Gewicht abhängt. So gesehen steht L-drive Schweiz einer reinen Gewichtsabstufung eher skeptisch gegenüber, auch wenn natürlich das Gewicht im Problemfall aus fahrphysikalischen Gründen Auswirkungen hat. Wer das Fahrzeug lenken kann und sich der Risiken bewusst ist, kommt im Extremfall besser weg als jemand ohne Erfahrung und Wissen, der ein leichteres Auto fährt.

Hinzu kommt, dass sehr viele Elektroautos im Vergleich zu konventionellen Autos wegen den Batterien schwerer sind und das Durchschnittsgewicht der Autos zunimmt, weil immer mehr in die Autos reingepackt werden muss – auch serienmässige Sicherheitsausrüstungen. Eine generelle Gewichtsabstufung erachtet L-drive Schweiz deshalb als kontraproduktiv, da in keinem Fall bei der Sicherheit gespart werden darf, nur damit Fahrzeuge leichter sind. Genau dies könnte mit einer solchen Regelung aber drohen.

Und schliesslich: Beim SUV-Bashing möchte L-drive Schweiz nicht mitmachen. Aufgabe der Fahrlehrer:innen ist es, alle professionell auszubilden, damit möglichst gar keine Unfälle passieren. Da darf es keine Rolle spielen, was für ein Fahrzeug jemand fährt.

Wichtiger und zielführender scheint es zu sein, wenn man gewisse Einschränkungen am Verhältnis von Leistung/Gewicht resp. kW/kg festmacht. Hier besteht mit Blick auf das teilweise grassierende PS-Wettrüsten akuter Handlungsbedarf, vor allem bei gewissen Gruppen von Neulenkenden.

Wie viel Einfluss hat das Gewicht?

Das Fahrzeuggewicht hat selbstverständlich einen Einfluss auf das fahrphysikalische Verhalten. Ein schweres Auto ist träger als ein leichteres. Zur grösseren Gefahr wird es, wenn dieses Gewicht mit mehr PS/Kilowatt gekoppelt wird. Dann wird es gefährlich. Am gefährlichsten ist es deshalb, wenn wir ein leichtes Gefährt mit hoher Leistung haben. Deshalb möchte L-drive Schweiz auch eher bei Leistungsbeschränkungen ansetzen. So könnten Probleme bei anderen Fahrzeugkategorien gelöst werden (z.B. Elektro-Töffs).

Wie steht L-drive Schweiz zu spezifischen SUV-Fahrkursen?

Geländewagen sind SUVs. Und hier gibt es seit Jahren spezielle, freiwillige Fahrtrainings im Gelände. L-drive Schweiz empfiehlt, solche freiwilligen Kurse zu besuchen – nicht nur weil es Spass macht.

Junglenker:innen sollen gemäss Entwurf der EU-Führerschein-Richtlinie nur noch maximal 90 km/h schnell fahren dürfen. Wie steht L-drive Schweiz zu dieser geplanten Änderung der Führerschein-Richtlinie?

Grundsätzlich bedeutet jede Geschwindigkeitsreduktion mehr Sicherheit, auch wenn unterschiedliche Geschwindigkeitsregimes wieder neue Konflikte schaffen und Gefahren bergen. Von daher ist die Idee prüfenswert, aber nicht prioritär. Im Zusammenhang mit der Verkehrssicherheit sind vor allem die Überlandstrassen problematisch. Und dort besteht ja bereits ein Tempolimit von 80 km/h. Das heisst: Wer dort mit übermässiger Geschwindigkeit verunfallt oder einen Unfall verursacht, macht dies zumeist voll bewusst, so dass auch eine Beschränkungen auf 90 km/h nichts bringen würde. Nicht nur deshalb gilt auch hier: eine angemessene Fahrweise wird am besten in der Fahraus- und -weiterbildung vermittelt.

Würde die neue Richtlinie den Fahrlehrer:innen Chancen bieten, um mehr ausbilden zu können?

Mit den Vorschlägen für die neue Führerschein-Richtlinie geht es kaum darum, ob diese für die Fahrlehrerschaft Chancen bieten. Neue Vorschriften sollen dazu dienen, den Verkehr sicherer zu machen. Und eine professionelle Fahraus- und -weiterbildung trägt zu mehr Sicherheit bei. Oder anders gesagt: mehr Fahraus- und -weiterbildung wäre auch ohne neue Bestimmungen sinnvoll.

Die EU will mit der Anpassung der Richtlinie die Zahl der Verkehrstoten auf 0 reduzieren. Sind diese Massnahmen zielführend?

L-drive Schweiz möchte nicht die Situation in der EU kommentieren, sondern auf die Schweiz fokussieren: Und hier stellen wir fest, dass die Zahl der Unfalltoten und der Schwerverletzten seit Jahren mehr oder weniger stagniert. Die Schweiz ist im internationalen Sicherheits-Ranking in den letzten 5 Jahren denn auch vom Spitzenplatz auf Rang 5 abgerutscht. Das sollte uns zu denken geben. Wir haben Handlungsbedarf.

2005 hat die Schweiz mit dem Projekt «Vision zeroi» resp. «Via sicura» international eine Vorreiterrolle in der Verkehrssicherheit eingenommen. Die Europäische Union ist dem Beispiel der Schweiz seither mit vielen Massnahmen gefolgt. Das ist erfreulich. Weniger erfreulich ist die Tatsache, dass die Schweiz ihrerseits diesen Pfad in den letzten Jahren immer mehr verlassen hat (Heraufsetzung der Altersgrenze für die verkehrsmedizinischen Kontrolluntersuchungen, reduktion Weiterbildungspflicht für Neulenker:innen, Streichung Automateneintrag, Fahren mit 17 ohne Begleitmassnahmen, Abschwächung des Raser-Artikels).

Sind 0 Verkehrstote überhaupt ein realistisches Ziel?

Es kann kein anderes Ziel geben als 0 Verkehrstote. Alles andere erachtet L-drive Schweiz als moralisch verwerflich und unangebracht.

Wie stehen die Chancen, dass die EU die geplanten Verschärfungen so umsetzen wird?

L-drive Schweiz geht davon aus, dass die EU sehr wohl einige der jetzt zur Diskussion gestellten Massnahmen umsetzen wird. Der Verkehrssicherheit kommt in der Mobilitätsstrategie der EU ein sehr hoher Stellenwert zu – auch wegen der Kostenfolgen von Unfällen.

Die Schweiz übernimmt viele EU-Gesetze ohne grosse Anpassungen. Ist dies auch bei der Führerschein-Richtlinie zu erwarten?

Wenn es dem Bund ins Konzept passt, wird man dies als «autonomen Nachvollzug» abbuchen. Wenn nicht – und das ist zu erwarten – wird man einen Schweizer Sonderweg suchen. So oder so: Das Thema ist auf dem Tisch und wird auch hierzulande zu Diskussionen führen.

Die Fahrlehrerschaft ist offen und bereit für diese Diskussion. Schweizweit haben sich Fahrlehrer:innen deshalb im Herbst 2023 an Workshops von L-drive Schweiz auch bereits damit auseinandergesetzt, wie die Fahrausbildung im Hinblick auf die Verkehrssicherheit optimiert werden könnte.